Ich weiß weniger denn je, ob ich Teil von Social Media Art sein will. Bin ich froh, dass ich es (noch) nicht bin? Oder benehme ich mich nur so, da ich mich selbst ausschließe und eine Erklärung dafür brauche? Wäre es nicht schön, wenn es durch social media größeres Interesse an mir gäbe?
Ich verfolge also (Stand ist 30 Aug 2010) als @nabers 12 Leute auf Twitter, und 11 Leute verfolgen mich. Ich verfolge eine Künstlerin in New York, An Xiao (@anxiaostudio), die sehr viel twittert und sagt, sie würde Followers beim ersten Re-tweet folgen. Also habe ich ein Tweet von ihr re-tweetet (es hatte irgendeinen Bezug zu Teppichen). Aber sie ist mir nicht gefolgt. Sie spricht auch über Social Media Art, man kann sie als Rednerin buchen.
Die Welt der Twitterer scheint sich in jene zu teilen, die immer etwas zu sagen haben (viel tweeten) und denen viel mehr Leute folgen als sie selbst Leuten folgen, und jene, denen wenige folgen, die aber selbst vielen folgen. Aber es gibt auch Ausnahmen, wo das ausgewogener ist: Sylvia Eggers professionelles Account Sprungmarkers mit 587 Following und 795 Followers.
Es gibt auch jene, die recht aktiv sind (oder waren) und vielen folgen, denen ich aber irgendwie keine Lust habe zu folgen, weil mir irgendwelche schwer fassbaren Aspekte nicht ganz geheuer sind. So etwa der umtriebige Teppichexperte Barry O'Connell (@spongobongo, 1,986 Following 945 Followers. ) Anscheinend hat er zum Jahresbeginn das Twittern aufgegeben. Er ist fundamental religiös, gibt seinen Wohnort als Teheran an (was nicht stimmt), und ist stolz darauf, irgendwann mal für einen (republikanischen) Präsidenten gearbeitet zu haben.
Einige, wie mein Freund Ralf (@Moorbek), haben das Twittern bald wieder aufgegeben, als sie merkten, dass ihnen niemand folgt.
Was ganz leicht ist: Kurze Meldungen twittern, die auf Neues auf der eigenen Site verweisen. Das scheint aber meine wenigen Follower nicht zu interessieren. Also bringen die Tweets, auf der Startseite eingebunden, nur eine Erleichterung bei der Pflege des Abschnittes Neuigkeiten.
Seit gestern gibt es nun @konversationen, das gemeinschaftliche Twitter-Account zu der Ausstellung / den 16 Konversationen Konversationskunst von Kurd Alsleben und Antje Eske im ZKM (vom 16. 10. 2010 bis 09. 01. 2011). Ich habe ihnen zugesagt, mich drum zu kümmern. Heute habe ich dann angefangen, nach Twitter-Accounts eingeladener Teilnehmer/innen zu suchen, habe ein paar gefunden, und bin einigen gefolgt. Heute schrieben dann auch Kurd und Antje an alle Teilnehmer und machten sie auf das neue Account aufmerksam. Bisher hat "konversationen" 5 Followers. Wie viele der Nicht-Twitterer unter den Teilnehmer/innen aus diesem Anlass anfangen zu twittern, werden wir ja sehen - und ich werde sehen, ob es etwas an meinem grundsätzlichen Unbehagen ändert.
Ich pflege aber noch ein anderes Twitter-Konto, das von dem Projekt, in dem ich arbeite (@bitvtest). Hier haben wir zur Zeit 83 Followers und folgen selbst 79 Leuten. Es geht um eine Fachöffentlichkeit (das Thema ist Barrierefreiheit). Anfangs wurden einige unserer Tweets (Hinweise auf neue Postings auf unserer Site, Tests zum Beispiel) re-tweetet, später nicht mehr. Es gibt auch das Sprachproblem: Die englischen Veröffentlichungen interessieren eher in der internationalem Szene und wurden zu ein, zwei Gelegenheiten auch fleißig re-tweetet, aber dort folgt man uns eher nicht, weil wir überwiegend deutschsprachig tweeten.
Was Gespräche angeht, deren @Name-Brocken man im Fluss anderer Tweets wahrnimmt, fragt man sich ein bisschen, ob die Bruchstücke nicht eine narzisstische Einladung sind, nach dem vollständigen Kontext zu suchen. Das geschieht nicht, es bleibt aber ein Gefühl von Wichtigkeit: da haben zwei aufeinander reagiert (vermutet man). Aber was war daran öffentlich? War es öffentlich in der Art, dass zwei etwas Witziges oder Elegantes zu sagen hatten und das eigentlich lieber vor einem (und für ein) Publikum tun wollen, es aber form-integrierend notwendig ist, eine bestimmte Person anzusprechen?
Das Problem ist: will ich mit dem anderen wirklich reden, wenn ich bereits eine fundamentale Differenz verspüre? (Doch wenn nicht, was soll ich dann mit mir allein anfangen?). Hat es mehr mit meiner Disposition zu tun oder mehr mit dem Medium, oder ist es die Reibung zwischen beidem?
Was lässt sich im Kontakt mit den locker im Medium Schwimmenden herstellen außer heruntergespielten Anzeichen des Unverständnisses, außer einer Scham, die mit dem verdrückten Unwillen des sich dennoch Einlassens und dem (irgendwie beschämenden) Gefühl eigenen Hochmuts verbunden ist?
Wenn sich An Xiao zum Beispiel journalistisch mit Social Media Art beschäftigt, habe ich dem auf der von ihr gewählten Ebene kaum etwas hinzuzufügen. Ich würde einfach über etwas anderes sprechen wollen, was bei ihr nicht vorkommt. (Ich kann ihren Text auch kommentieren, aber dann wird er mehr zum Nährboden, den ich schreibend verzehre). Wenn das Gefühl der strukturellen Macht und Fremdheit des Mediums gleich zu Beginn überwiegt - eine Sache, die sich so anfühlt, als könne man über sie nicht einmal diskutieren, ohne den eigenen Widerstand und das darin gespürte Selbstgefühl preiszugeben - und wenn es für mich so aussieht, als paralysiere diese Macht gerade den mühelosen, im Medium schwimmenden Nutzer - wie dann auf das scheinbar Positive, Unschuldige, den Austausch, das Ausprobieren reagieren, ohne Spielverderber zu sein oder sich zurückzuziehen?
Eine mögliche Antwort steckt in der Persona oder Rolle, die ich in einem Austausch bin, die einen kleinen Teil meiner Möglichkeiten zusammenrafft und in Form bringt und anderes im Dunkeln lässt, die anderen damit verschonend. Vielleicht ist dies, wie es auch am Arbeitsplatz geschieht, sogar eine gemeinsam erzeugte Erfindung, ein impromptu-Vertrag des leichten Austausches, der sich immer ein wenig weiterentwickelt. (Goffman wird darüber geschrieben haben). Oder die Person ist doch ganz da, aber größtenteils ausgespart, sie erscheint nur peripher in den Textspuren, in den kleinen Launen ihrer leicht hingeworfenen Sätze, die viel Deutungsraum lassen.
Humor scheint oft de rigeur. Wie im englischen Smalltalk wird "aus dem Humor fallen" als schwere Grobheit verstanden oder völlig missverstanden (was hat er denn jetzt?). Die Teilpersönlichkeit ist plötzlich nicht mehr spürbar in dem vertrauten Ton ihrer ornamentalen Meckereien, ihrer ironischen Prahlerei oder ihrer trockenen Selbstkritik.
Und doch muss der Kontakt zu dem Fluss der Social Media Art hergestellt werden, muss es ein Wahrnehmen geben, sonst bleibt dies ein Knistern in der Ecke. Dies geschieht über das höfliche angetäuschte Fraßritual: ich zeige die Textstücke, die ich verzehren werde, vor, intakt, wedele damit, und zerre dann daran. Dann lasse ich sie fallen, verzehre sie nicht, sondern spucke etwas anderes aus, dass sich darüber legt. Das ganze Spektakel wird aufgezeichnet und später retuschiert, Wertschätzung wird hinzugefügt. Dann wird es als Einladung zu einem lebendigen Austausch übersandt. (Das Letzte war wahrscheinlcih nicht verständlich — keine Sorge, ich habe es vor nur kurzer Zeit geschrieben, und verstehe es schon selbst nicht mehr).
OK, das reicht erstmal.