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I.5. Das Wesen des Jahwe-Glaubens

Der Jahwe-Glauben Israels wird mit dem Wissen um seine Entstehungsgeschichte als Offenbarung Gottes radikal in Frage gestellt.

Man wird aber bei einer Wertung der israelitisch-jüdischen Religion zu beachten haben, dass sie sich wesentlich von aller anderen Religionsbildungen der Menschheit unterscheidet.

Sie ist die Religion unter den Religionen der Kulturvölker, die in ihrer Anfänge der Menschheit zurückreicht. Während in den totemistischen Religionen das Urverbrechen am Vater abgedunkelt und für das Bewusstsein unzugänglich gemacht wurde, indem das Totemtier an die Stelle des Vaterbildes trat, entwickelte sich in der israelitischen Religion eine geistige Kraft, die den Menschen befähigte, am Bilde des Vaters festzuhalten.

Der Totemgläubige war zwar nicht bereit, auf den Triumph über den Vater zu verzichten. Aber da er die Schuldangst nicht ertragen konnte, zog er sich gleich- sam aufs heilige Tier zurück, über das er sich göttliche Kräfte auf magische Weise anzueignen versuchte. Man könnte ihn mit einem erfolgreichen Bankräuber vergleichen, der seine Beute in das Geld einer anderen Währung eintauscht, um die Tat zu vertuschen und auf diese Weise vor einer Entdeckung sicher zu sein.

Auch in der israelitischen Religion wurde die Untat am Vater aus dem Bewusstsein ausgeblendet, da sie dem religiösen Empfinden unerträglich zu sein schien. Aber das geraubte Kapital wurde nicht umgetauscht, sondern nur sorgsam versteckt. Weil sich der Israelit der Schuldangst zu stellen wagte, blieb ihm im Gegensatz zum Totemgläubigen das Wissen um den väterlichen Ursprung seiner religiösen Existenz erhalten, die sich dann notwendigerweise mit dem verdeckten, aber nicht mehr auszumerzenden Wissen um die Urschuld verband.

Durch das Eingeständnis der in ihren Ursachen verdeckten Versündigung gegen den zum Gott gewordenen Vater konnte sich ein Gewissen entwickeln, das den Menschen zu einem sittlichen Handeln in Binding an Jahwe anhielt.

Der Totemgläubige konnte sich im Wesentlichen darauf beschränken, durch ein strenges Sittengesetz seine physische Existenz zu sichern. Der Glaube an Jahwe aber stellte den Menschen in das unausweichliche Gegenüber einer geistigen Macht, die den Menschen in seiner Schuldverhaftung sehr wirksam zum Gehorsam auch gegen seine eigenen Interessen auffordern konnte. Jahwe kann souverän auf das menschliche Schicksal einwirken, ohne dass es möglich wäre, sich einer solchen Einwirkung zu entziehen. Er ist zwar Gebieter über die Naturgewalten, aber er selbst bleibt unabhängig von ihnen, so wie es auch seine Macht überhaupt nicht berührt, ob die Menschen ihn anerkennen oder ablehnen. Er kann sich eines einzelnen Menschen bedienen, der es dann tatsächlich fertigbringt, als ein einzelner einem abtrünnig gewordenen Volk Jahwes Willen sehr nachdrücklich zu verkünden.

Gerade die Großen unter seinen Dienern haben unter der Härte des rücksichtslosen Gefordertseins schwer gelitten. So empört sich Jeremia gegen den Auftrag, trotz jahrzehntelangen Misserfolges weiterhin das Wort Jahwes unter seinem Volk zu vertreten. Er will seinen Auftrag vergessen, aber der Geist Jahwes überwältigt ihn und bleibt Sieger (Jeremia 20, 7ff).

Elisa, der sonst unbedenklich dafür eintritt, dass dem Zorneswillen Jahwes durch Mord und Totschlag Raum gegeben ward, bricht in Tränen aus, als er Hasael mit der Empfehlung, den syrischen König Benhadad zu ermorden, selber zum König einzusetzen hat. Auf eine erstaunte Frage Hasaels antwortet Elisa: Ich weine, "weil ich weiß, wieviel Unheil du den Israeliten zufügen wirst: ihre festen Städte wirst du in Brand stecken, ihre jungen Männer mit dem Schwert töten, ihre Säuglinge zerschmettern und ihren schwangeren Frauen den Bauch aufschlitzen" (2. Könige 8. 10ff).

Nach den Berichten des 2. Buches der Könige war Elisa ja, abgesehen von seiner legendären Tätigkeit als Wundertäter, ein brutaler Mann, dem man Gefühlsregungen im Blick auf kommendes Unheil nicht so recht zutraut, aber er weiß sich ohne Zweifel als die Stimme Jahwes. Als Hasael ihn fragt, warum er denn eigentlich zum König ausersehen sei, antwortet Elisa: "Der Herr hat dich mir als König über Syrien offenbart" (2. Könige 8, 13b).

Und so spricht aus den Propheten die Stimme Jahwes, der den Seinen Schutz verspricht, aber nur unter der Voraussetzung unbedingten Gehorsams. Seine Gnade steht im Schatten eines brennenden Zornes. In diesem Gott, der die Ausrottung eines ganzen Stammes verfügen kann und am Tage des Gerichtes seine Gegner abschlachten will (1. Samuel 15, 2 und Zephanja 1, 7ff.), tritt der Urvater der Horde wieder sehr deutlich in Erscheinung.

Die Israeliten haben den Vatermord ihrer frühen Vorfahren teuer befallen müssen. Denn als menschliche Autorität war der Vater in seiner Willensäußerung verstehbar gewesen, und konnte bei geschicktem Verhalten auch beeinflusst werden. Als göttliche Autorität hatte sich zwar an seinem unbedingten Machtwillen nichts geändert, nur dass sich dieser Wille von nun ab jeder rationales Erklärbarkeit und der Möglichkeit menschlicher Einflussnahme entzog.

Es hat bei den Israeliten nicht an Versuchen gefehlt, sich dieser mächtigen Rute, die man sich durch die Mordtat selber gebunden haste, wieder zu entziehen. So suchte man im Passahmahl den wunden Punkt festzuhalten, von dem aus sich die absolute Überlegenheit Jahwes am wirksamsten in Frage stellen ließ. Diese Demonstration menschlicher Macht aber hat dem Anschein nach keine allzu große Überzeugungskraft gehabt. Die Stärke der totemistischen Religion beruht vor allem auf der Vorstellung von unantastbarer Heiligkeit des Opfers, dessen göttlicher Kraft man sich nur im Kultmahl bemächtigen darf.

Wenn in Israel das Passahopfer als alltägliches Nahrungsmittel freigegeben und zudem such noch auswechselbar war, wird man wohl daraus schließen können, dass dieses Kultmahl zum wenigsten in späterer Zeit nicht mehr als ein echter Triumph über Jahwe empfunden wurde.

Der jüdische Gottesglaube steht in der Welt sicher einmalig da. Die Versuche, von Jahwe abzufallen und trotzig einen eigenen Weg zu gehen, wurden abgelöst von reuevoller Unterwerfung, mit der man demütig in den großen Katastrophen des Volkes das göttliche Zorngericht anerkannte. Besonders in Notzeiten erwies sich das Vertrauen auf seine Gnade und Kraft unerschütterlich. Es war das Vertrauen von Kindern, die dem Vater noch alles zutrauen und daher auch noch unfähig bleiben, in eigener Verantwortung realitätsgerecht zu handeln.

So ließen sie sich in Kämpfe ein, die in Anbetracht mächtiger Gegner schon im vorhinein verloren waren. Zweimal verteidigten sie im Laufe ihrer Geschichte Jerusalem als die heilige und daher uneinnehmbare Stadt Gottes und standen am Ende vor den Trümmern ihrer nationalen Existenz. Aber nicht Zweifel an der Macht Jahwes, sondern tiefgewurzeltes Schuldgefühl meldete sich dann, und veranlasste sie, ihre Religionsgesetze zu verschärfen, um weiteren Strafen zu entgehen.

Wenn sich Israel als das auserwählte Gottesvolk verstand, so darf das nicht als eine hochmütige Anmaßung gewertet werden. Denn es gibt wohl kein Volk, das in seiner Geschichte so stark von seinem Gottesglauben her geprägt wurde. Auch der Mut zur Wahrhaftigkeit, mit der dieses Volk die Wahrheit seines Glaubens auf die Probe stellte, kann als einmalig gelten. An mancher Stelle des Alten Testaments kommt die Ahnung schon deutlich zum Ausdruck, dass Gott als der ganz andere sich vom Wesen Jahwes unterscheidet. Die Gottesbegegnung Elias am Berge Horeb (1. Könige l9, 11ff), die Hoffnung Hiobs, Gott eines Tages nicht mehr als seinen Gegner ansehen zu müssen (Hiob 19, 27) und das Lied vom Gottesknecht (Jesaja 53) können unter anderem davon Zeugnis geben.

Aber erst im Neuen Testament begegnen wir in Jesus von Nazareth dem Mann, dessen Leben und Sterben nichts anderes war als eine Überwindung des alttestamentlichen Gottes.


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Last update: 31 Mai 2009 | Impressum—Imprint