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Die Hypothese Freuds, nach der der Opfertod Jesu als ein Versuch hingestellt wurde, für die Mordverschuldung der Urmenschheit eine vollkommene Sühne zu leisten, ist im Vorhergehenden schon im Zitat gebracht worden (siehe S. 10 ff.).
Nach Freuds Ansicht ist dieser Weg zur Erlösung von der Urschuld ein Weg unter vielen, auf denen in anderer Weise das gleiche erstrebt wurde. So weist er auf den Mithraskult hin, auf dessen Inhalte nur noch über erhaltene Abbildungen Rückschlüsse gezogen werden können. Da der persische Götterjüngling auf diesen Bildern als Töter heiliger Stiere dargestellt wird, vermutet Freud in ihm jenen Sohn, der die Opferung des Vaters allein vollzog und so die Brüder von der sie erdrückenden Mitschuld an der Tat erlöste [16].
Er fährt dann fort: "Es gab einen anderen Weg zur Beschwichtigung dieses Schuldbewusstseins, und diesen beschritt erst Christus. Er ging hin und opferte sein eigenes Leben, und dadurch erlöste er die Brüderschar von der Erbsünde."
Die Beweggründe aber, die Jesus zu dieser Opfertat veranlassten, sind keineswegs selbstloser Art. Sie sind in einem überstarken Schuldgefühl zu suchen, das aus dem Hass gegen den mächtigen und tyrannisierenden Vater erwuchs. Dem Opfergang Jesu liegt also ein Todeswunsch zugrunde, vergleichbar mit dem Selbstmordimpuls eines Neurotikers, der sich für seine Todeswünsche, die gegen einen anderen gerichtet sind, selber bestraft [17].
Diese Behauptungen Freuds stehen nicht in einem eindeutigen Widerspruch zum neutestamentlichen Bericht, sondern könnten sich auf neutestamentliche Aussagen stützen. Bei Markus und Matthäus wird bezeugt, dass Jesus sein Leben als ein Lösegeld für viele hingegeben habe (Markus 10, 45 und Matthäus 20, 28). Zudem berichten die Evangelien, dass auch Jesus versuchbar war. Aus der Versuchungsgeschichte geht doch wohl klar hervor, dass er die Regung menschlichen Machtstrebens kannte und als Jude von Gefühlen des Hasses dem allmächtigen Jahwe gegenüber nicht freibleiben konnte (Matthäus 4,l ff und Lukas 4,1 ff).
Von daher also gewinnt die These Freuds Gewicht, wenn er behauptet, dass im Grunde der Hass auf den göttlichen Vater hinter dem Sühnetod Jesu steht. Nur durch diesen Tod kann eine vollkommene Versöhnung mit dem Vater erfolgen, zugleich aber auch der Wunsch des Sohnes gegen den Willen des Vaters in Erfüllung gehen. Der Sohn wird nun selbst zum Gott, ja er tritt eigentlich an die Stelle des Vaters [18].
Tatsächlich scheinen sowohl die synoptischen Evangelien wie auch die Lehrbücher des Neuen Testamentes der Behauptung Freuds recht zu geben. Nach ihrem Zeugnis, das später auch im Glaubensbekenntnis der Kirche Aufnahme fand, besteht nach der Auferstehung Jesu eine Identität des Sohnes mit dem Vater, der seines Sohn zum Richter über die Welt einsetzt.
Aus diesem Richter aber spricht unverkennbar der Jahwe des Alten Testamentes. Der ursprüngliche Hass des Sohnes gegen einen mächtigen Vater kann sich nun gegen alle Menschen wenden, die seine Macht nicht anerkennen wollen. Väterliche Fürsorge und eine Auferstehung zum ewigen Leben werden den Menschen, die Gott lieben und seinem Wort gehorsam sind, zwar zugesagt, aber eine liebende Zuwendung des Menschen seinem Gott gegenüber in freier Entscheidung kann im Grunde überhaupt nicht erfolgen. Denn die harte Botschaft des Alten Testamentes von dem Zorn Gottes über den ungehorsamen Menschen wird vom Neuen Testament nicht nur aufgenommen, sondern empfindlich verschärft.
Die Strafen Jahwes konnten grausam und vernichtend sein, aber sie trafen den in dieser Welt lebenden Menschen. Die Strafandrohung des herrschenden Christus zeugt von einer unvorstellbaren Grausamkeit. Das alttestamentliche Totenreich wandelt sich nunmehr zur Hölle als einem Ort ewiger Qual, der nach der Offenbarung des Johannes auch als ein mit Schwefel brennender Feuersee vorgestellt wird, in den die Verdammten hineingeworfen werden (Offenbarung 19, 20b). Auch die Willkür Gottes in seinem Gnaden- oder Zorneshandeln wird im Neuen Testament vor allem in der Theologie des Paulus ohne Abstrich vom Alten Testament übernommen (2. Mose 33, 19 und Römer 9, 15ff).
So wird man feststellen müssen, dass die neutestamentliche Verkündigung eines Gottes der Liebe sich mit einer verschärften Strafandrohung verbindet, die im Menschen starke Ängste auslösen kann und ihm nur die Alternative lässt, sich entweder Gott in zitterndem Gehorsam zu unterwerfen oder im Ungehorsam einem furchtbaren Gericht entgegenzugehen.
So scheint sich also die Behauptung Freuds zu bestätigen, dass nicht eine Tat der Liebe, sondern des Hasses war.
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